Gerrit Achterberg

1905 – 1962           Niederlande

 

 

                                                               In Übersetzung von

                                               Ard Posthuma

 

 

 

 

Ballade des Gasinstallateurs

(Ballade van de gasfitter)

 

 

I

 

Du musst von hinten eingestiegen sein.

Hinter Fassaden, zwischen den Gardinen

der Fenster vis à vis bist du erschienen,

trittst auf und ab; ich folg dir insgeheim.

 

Musst du dich im Vorübergehn entziehen,

rahmt dich sofort das nächste Fenster ein,

wo ein Herr Kunz wohnt, sicher nur zum Schein,

als wolltest du mir sogenannt entfliehen.

 

Doch nichts dergleichen. Türen sind geduldig.

Sie haben Klingel. Briefeinwurf und Stufen.

Der Apfelhändler ruft dich mit Lockrufen,

und falsche Schlüssel gibt es mannigfaltig.

Oder man schickt mich, auf den Tod unschuldig,

bei dir, die Gasleitung zu überprüfen.

 

 

 

II

 

Als Gasinstallateur verkleidet stehen

mir Türen offen; am hellichten Tag

betrete ich dein Haus, dich zu erspähen.

Doch drückt die Decke wie ein Sarkophag.

 

Das Zimmer scheint gemacht aus feuchtem Lehm.

Es schwitzt. Das tu ich auch. Nicht zu ertragen.

Ich mühe mich, die Schrauben festzudrehn

und hüte mich die Augen aufzuschlagen,

 

und bleib dir, wie du mir, inkognito.

Mich bückend, kniend, bäuchlings hingestreckt,

such ich verbissen, wo das Manko steckt,

und sag mir ständig: es is besser so.

Totschweigen, das ein Hammerschlag zerkeilt,

und Totenstille, die die Schläge heilt.


III

 

Soll ich die Wohnung unter Wasser setzen,

einen Bruch in der Gasleitung forcieren?

Dummheit! Ich hab die Muffen zu ersetzen!

mache ich rasch den Fehlschluss ungeschehn.

 

Sonst würde später in der Zeitung stehn:

„Gestern fand aus noch ungeklärtem Grunde

ein Klempner in der Wohnung eines Kunden

den Tod durch Gasvergiftung. Ausserdem

ward nebenan die Leiche aufgefunden

 

der Hausbesitzerin. Sie lag darnieder,

wie wenn sie eingenickt wär; in der Hand

wurde ein Brief gefunden, darin stand:

‚Wie gross die Welt aus ist, ich komme wieder.’

Der Tod traf, scheint’s, während des Lesens ein.

Von Ehebruch kann nicht die Rede sein.“

 

 

 

 

IV

 

Dann endlich ist die Leitung wieder dicht.

Hammer und Zangen werden eingesammelt.

Die Beine sind in Bleiröhren verwandelt.

Schweisstropfen rinnen über mein Gesicht.

 

Zusammenbrechend unter dem Gewicht,

dreh ich mich um und zeige mit der Hand

ins Leere, wo deine Person verschwand.

Es gibt nur noch das späte Tageslicht.

 

Ich heb den Werkzeugkasten hoch und stemm’

ihn auf die Schulter. Laufend durch den Gang

weck ich mit meinen Schritten dumpfen Sang.

Schon fällt die Tür ins Schloss. Der Strassenlärm

bleibt fern, während der Nebel dichter wird.

Ich hab mich diesmal offenbar geirrt.

 

 


V

 

Als ich, zuhause nun, mein Abendbrot

verzehren will, klingelt das Telephon.

Ich heb den Hörer ab, da klingt auch schon,

harmlos scheinbar, das neueste Gebot.

 

Der Generaldirektor. Schrill und laut,

doch mit verdecktem, weichem Unterton,

tönt es: ‚Geh morgen wieder hin, mein Sohn,

du weisst, zu deinem Besten wird geschaut.’

 

Wer einmal stolperte, nimmt sich in acht.

Statt einsam hier zu bleiben über Nacht,

ist’s besser, dass ich jetzt zu später Stunde

den Wohnblock vis à vis bereits erkunde.

An den Hausnummern wird sich (hoff’ich eben)

die Lösung einfach zu erkennen geben.

 

 

 

 

VI

 

In dieser Nacht bekam ich lediglich

Den Hausmeister zu sehn. Er schlief. Vergessen

waren ihm seine Daten. Sein Gesicht

lag seitwärts auf den Arm gekippt. Gefesselt

 

Stand ich vorm Fenster dort. Wind regte sich.

Am Boden leises Rascheln. Unterdessen

war hier in nächster Nähe, pflichtvergessen,

ein Mensch, der lebte und der sicherlich

 

mir hätte helfen können, wenn es nicht

so still geworden wäre und zu düster,

um ihn noch aufzuwecken mit Geflüster.

Er hätt den Kopf verloren. Das ging nicht.

Da käm auch der Direktor in Verdacht.

Ich schlich heimlich davon. War er erwacht?


VII

 

Ich lege los beim ersten Hahnenschrei,

den Schlaf noch in den Augen; weit und breit

erscheinen mir die Strassen vogelfrei.

Das Endziel steht schon irgendwo bereit.

 

Ich wiege mich in schönster Sicherheit.

Ein Herr der Direktion radelt vorbei.

Ich grüsse, doch es scheint ihm einerlei,

wohl noch erschöpft von einem Ehestreit.

 

Oder er traut dem Umstand nicht so recht,

mir zu begegnen in solchen Stadtteilen,

wo Klempner im Normalfall kaum verweilen.

Hier wohnt ein junges, furchtloses Geschlecht

bei andrem Licht. Sei’s drum, ich bin erkannt.

Deshalb der Stadt mir wieder zugewandt.

 

 

 

 

VIII

 

Bald steh ich vor der letzten Möglichkeit.

Drucktasten reihen sich, wie Zähne gleissend

in einem Kunstgebiss, Gefahr verheissend.

Verbissen führen meine Finger Streit.

 

Indem ich so dastehe, nägelbeissend,

springt eine Tür auf. Ein Hausmädchen schleift den

Mülleimer hinaus. Das ist entscheidend,

sonst stünd ich heut noch da. Jedoch die Zeit

 

ist kurz. Ich frage eiligst, wo es leckt.

Es zeigt nach oben, mit verhülltem Spott,

was wohl bedeuten soll: bist du verrückt?

Das bin ich ja. Drum bete ich zu Gott.

Der Lift steigt himmelwärts, wo sich versteckt,

was bisher keinem Klempner je geglückt.


IX

 

Je höher mich der Fahrstuhl aufwärts fährt,

desto mehr Raum uns beiden trennt. Das Leben

weiss sich von Stahl und Nickel rings umgeben.

Dem Bau wurde kein Nagel je verwehrt.

 

Hier ist kein Gas. Gott ist das Loch und leert

über mich seine Tiefen aus, um zu erleben

am dünkelhaften Klempner, wie sich eben

von Stock- zu Stockwerk Seine Allmacht mehrt.

 

Ein Stockwerk nach dem andern fällt hinunter.

Ich weiss nicht mehr, was tun in aller Welt.

Vielleicht, dass mir ein letzte Wort einfällt,

wenn ich ihn frage nach dem ersten Grunde.

Mich schaudert beim Gedanken. Ich muss raus

und setze alles Seinem Ratsschluss aus.

 

 

 

 

X

 

Sperrangelweit öffnen sich alle Türen.

Herrschaften aller Herkunft, Rasse, Zunge,

rufen, als hätt ein Geist sich eingedrungen:

‚Wage es nicht, uns hinters Licht zu führen!’

 

Beweg ich mich deshalb auf allen Vieren?

Schnell wieder in die Glasgrube gesprungen.

Ein Korb schmutziger Wäsche fährt mit runter.

Wie sich da oben alle lauthals rühren!

 

Ich irre noch ein wenig durch den Ort.

Es scheint schon sehr viel später als vorher.

Schulen gehn aus. Es staut sich der Verkehr.

Kinder, von Müttern mitgenommen, quasseln,

Fahrräder schrillen klingelnd, Wagen rasseln

an mir vorbei; wie lange stand ich dort?


XI

 

Mich schwindelt. Die Gaswerke drehen sich.

Als ich mich derart, dem Verzweifeln nah,

in meinen Hoffnungen betrogen sah,

und wie ein Hund von dannen schlich,

 

muss still ein Vakuum eingedrungen sein.

Kein Handwerk war dazu erforderlich,

Schon setzt das Spiel der Kinder wieder ein

und hebt die Zeit sich auf im Ringelreihn.

 

Ich muss mich gleich zur Direktion bequemen.

Der Herr Direktor selbst führt mich ins Zimmer,

erzväterlich mich ins Verhör zu nehmen.

Undenkbar, ihn mit lügen zu beschämen.

In seiner Brille schwimmt ein Tränenschimmer.

Doch er entlässt mich kühl, nicht ohne Häme.

 

 

 

 

XII

 

Der Bund Christlicher Spengler lädt kurzfristig

Die Zunftbrüder zur Vollversammlung ein.

Man sei gebeten, pünktlich da zu sein.

Es habe sich ein Mitglied ordnungswidrig

 

In Wohnungen befunden und dabei

mit seinem Werkzeug dienstlich sich betätigt.

Dies sei der ganzen Körperschaft abträglich,

weshalb ein Schuldbekenntnis fällig sei.

 

Zum ersten Mal in der Berufsgeschichte

der Gasinstallateure kniet man nieder

ohne ein Leck im Rohr finden zu wollen,

allerseits solidarisch. Darauf spricht

der Vorsitzende: ‚Sündige nicht wieder!’

Wonach sie seelenruhig heimwärts trollen.


XIII

 

Nach Jahr und Tag, das Haar inzwischen weiss,

begegnen wir ihm wieder, einquartiert

im Seniorenheim, wo er mit Fleiss

die Strassen eines Stadtplans buchstabiert.

 

Als Tisch- und Bettgefährten sind dem Greis

Bote, Briefträger und Spengler beschert.

Die Pfleger machen ihm die Hölle heiss,

weil er ständig das Essen kritisiert.

 

Sein Dasein ist bis in das Grab verbürgt.

Wohltätigkeit kommt gern auf ihre Kosten,

abzüglich Krankheits- und Begräbnisposten,

ein Grund, weshalb der Leiter ihn nicht würgt.

Obdach gewährt die öffentliche Hand.

Man lässt ihm seinen Priemtabakbestand.

 

 

 

 

XIV

 

Als er dann eingeschlafen war zum Schluss,

wurde sein Mund, haboffen, aufgebunden,

er selbst vermessen und für wert befunden,

einen Sarg auszufüllen von sechs Fuss.

 

Und alle brachten ihm den letzten Gruss:

Kunz, Mädchen und Direktor, alles fand

sich ein, gemeinsam Trauer zu bekunden,

wie ich in Schwarz, mit Hut und Trauerband.

 

Am Grab ging alles seinen stillen Gang.

Auch die vom Wohnblock schauten kritisch zu,

wie er, ganz langsam, in die Grube sank,

als ob man ihn noch korrigieren wollte,

als er sein letztes Loch abdichten sollte.

Er ruh’in Gott. Die Erde deckt ihn zu.